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Verursachen niederfrequente Magnetfelder Erkrankungen des Nervensystems?

Neurodegenerative Erkrankungen sind meist langsam fortschreitende Erkrankungen des Nervensystems mit zunehmendem Verlust von Nervenzellen, die häufig zu Demenz und/oder Bewegungsstörungen führen. Mehrere epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass sie verstärkt bei starker beruflicher Exposition mit niederfrequenten Magnetfeldern auftreten.

Epidemiologische Studien zeigen einen Zusammenhang

Eine Meta-Analyse[1] berichtet aufgrund von 42 ausgewerteten Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien über einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition mit niederfrequenten Magnetfeldern und verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine Erkrankung des Nervensystems mit fortschreitender und irreversibler Schädigung der Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind und äußert sich durch Lähmungserscheinungen. Eine Meta-Analyse von 20 epidemiologischen Studien [2] ergab ein erhöhtes Risiko für ALS bei Arbeitern, die beruflich mit niederfrequenten Magnetfeldern exponiert waren. Ein möglicher Zusammenhang zwischen ALS und Elektroschocks, die in den entsprechenden Berufen häufiger auftreten können, wird kontrovers diskutiert, konnte aber nicht bestätigt werdenen [3,4]. Ein Zusammenhang zwischen ALS und einem Wohnort in der Nähe von Starkstromleitungen wurde in einer Meta-Analyse von fünf Originalarbeiten nicht gefunden [5].

Ein Hinweis auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko beruflich exponierter Personen, an der Alzheimer Demenz zu erkranken, ergab sich aus der Auswertung von 20 epidemiologischen Studien[6]. Die Ergebnisse der einzelnen Studien waren für ALS und Alzheimer Demenz nicht einheitlich, einige zeigten einen Zusammenhang und andere nicht. In der Gesamtschau war der Zusammenhang aber statistisch signifikant. Für die Parkinson-Krankheit[7] und die multiple Sklerose[8] wurde kein Zusammenhang mit Magnetfeldern gefunden.

Eine Schweizer Studie an der allgemeinen Bevölkerung, also nicht an beruflich exponierten Personen, weist bei Personen, die in einer Entfernung von weniger als 50 Metern zu einer Hochspannungsleitung (220 – 380 Kilovolt) wohnen, auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für die Alzheimer Demenz hin[9]. Das Risiko steigt zusätzlich mit der Wohndauer. Eine Studie aus Dänemark, die mit einem sehr ähnlichen methodischen Ansatz durchgeführt wurde, konnte die Ergebnisse nicht in vollem Umfang bestätigen [10]

Ob die beobachteten Erkrankungen tatsächlich ursächlich mit niederfrequenten Magnetfeldern zusammenhängen, und welche Wirkmechanismen zugrunde liegen, ist nicht geklärt. Bei beiden Erkrankungen spielen Entzündungen, oxidativer Stress und das Immunsystem eine wichtige Rolle. Es wird aufgrund aktueller wissenschaftlicher Arbeiten vermutet, dass Magnetfelder diese Prozesse begünstigen könnten, einen wissenschaftlichen Nachweis gibt es aber nicht[11].

Alzheimer Demenz

Die Alzheimer Demenz ist die häufigste Form von Demenzerkrankungen. Sie stellt eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung dar, bei der ein Abbau der kognitiven Fähigkeiten über Jahrzehnte hin zu beobachten ist. Sowohl die Ursachen als auch die molekularen Grundlagen der Erkrankung sind bisher nur teilweise verstanden. Die auffälligsten krankhaften Veränderungen sind das Auftreten von Proteinablagerungen (amyloiden Plaques), die hauptsächlich aus dem Amyloid-ß-Peptid bestehen, und neurofibrilläre (faserförmige) Ablagerungen, die sich aus hyperphosphoryliertem Tau-Protein zusammensetzen.

Mutationen im Gen des Amyloid-ß Vorläuferproteins (APP) sind verantwortlich für einen Teil der familiären Alzheimer Fälle und führen zu einer vermehrten Herstellung der Aß-Fragmente, die sich zu Plaques zusammenlagern. Neben den genannten krankhaften Kennzeichen tritt eine verstärkte Aktivierung von Gliazellen (Stützzellen im Nervensystem) auf. Zudem ist die Aufrechterhaltung des Proteingleichgewichts beeinträchtigt.

Amyotrophe Lateralsklerose

ALS ist die häufigste Motoneuronenerkrankung bei Erwachsenen und ist durch einen sehr schnellen Krankheitsverlauf charakterisiert. Motoneurone sind Nervenzellen, die die Muskulatur steuern; ihr Absterben führt zu Lähmungserscheinungen. Ähnlich wie bei der Alzheimer Demenz sind die Ursachen und die molekularen Grundlagen der Krankheitsentstehung und des Fortschreitens der Krankheit nicht verstanden.

An der familiären Form der Krankheit sind Mutationen in mehreren Genen beteiligt, die vor allem bei der Proteinbildung, der Aufrechterhaltung des Proteingleichgewichts und bei der oxidativen Abwehr eine Rolle spielen, wie zum Beispiel das Gen für das Enzym Superoxiddismutase (SOD1), das an oxidativen Prozessen beteiligt ist.

Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) konnte keinen ursächlichen Zusammenhang nachweisen

Das Bundesamt für Strahlenschutz hat im Zeitraum von 2008 bis 2013 das Forschungsvorhaben "Auswirkungen niederfrequenter elektromagnetischer Felder auf die Entstehung und den Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen im experimentellen Modell" an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz gefördert. Darin wurde untersucht, ob die Hinweise aus den epidemiologischen Studien in kontrollierten Laborversuchen bestätigt werden können.

Um mögliche relevante Krankheitsmechanismen der Alzheimer Demenz und der ALS zu untersuchen, wurden transgene Mauslinien hergestellt, die mutante Formen des APP und der SOD1 exprimieren. Diese Tiere entwickeln viele phänotypische und pathologische Kennzeichen der menschlichen Erkrankungen. Tiere beider Modelle wurden lebenslang einem Magnetfeld von 1 Millitesla ausgesetzt.

Als Hauptergebnis der molekularbiologischen, biochemischen und histologischen Analysen sowie der Verhaltensstudien kann festgehalten werden, dass niederfrequente Magnetfelder keinen negativen Einfluss auf den Verlauf der Alzheimer Demenz und der ALS in entsprechenden Mausmodellen haben[12].

Trotz einer hohen Anzahl der untersuchten Tiere und der analysierten Parameter konnte die Studie mit den hier verwendeten Methoden keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen niederfrequenten Magnetfeldern und dem Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen nachweisen. Dies ist im Einklang mit den Ergebnissen einer während der Projektlaufzeit publizierten Studie aus Frankreich, die im Mausmodell der ALS ebenfalls keinen Einfluss eines Magnetfeldes fand[13]. Eine spätere chinesische Studie an Ratten[14] fand ebenfalls keinen Einfluss niederfrequenter Magnetfelder von 100 Mikrotesla auf das Lernvermögen und auf Proteinablagerungen im Gehirn.

Ausblick

Im Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau der Stromtrassen in Deutschland erlangt ein mögliches erhöhtes Risiko neurodegenerativer Erkrankungen unter Magnetfeldexposition erneut an Bedeutung. Ein möglicher ursächlicher Zusammenhang soll durch weitere Forschung geklärt werden. Forschung zu neurodegenerativen Erkrankungen ist einer der Bestandteile des kürzlich durch das BfS initiierten Forschungsprogramms "Strahlenschutz im Stromnetzausbau". Als erste Maßnahme in diesem Themenbereich fand im Dezember 2017 in München der internationale Workshop "Zusammenhang zwischen neurodegenerativen Erkrankungen und Magnetfeldexposition – Stand des Wissens und Forschungsperspektiven" statt. Er hatte zum Ziel, den aktuellen Kenntnisstand zu erfassen, Kenntnislücken zu identifizieren und neue Wege für weitere Forschung aufzuzeigen. Der Bericht zu den Ergebnissen des Workshops ist in DORIS, dem Digitalen Online Repositorium und Informations-System des BfS erschienen.

Literatur

[1] Vergara X, Kheifets L, Greenland S, Oksuzyan S, Cho YS, Mezei G.Vergara et al. (2013) Occupational exposure to extremely low-frequency magnetic fields and neurodegenerative disease: a meta-analysis. J. Occup. Environ. Med. 55: 135 – 146

[2] Huss A, Peters S, Vermeulen R (2018). Occupational exposure to extremely low-frequency magnetic fields and the risk of ALS: A systematic review and meta-analysis. Bioelectromagnetics 39(2): 156-163.

[3] Fischer H, Kheifets L, Huss A et al. (2015) Occupational Exposure to Electric Shocks and Magnetic Fields and Amyotrophic Lateral Sclerosis in Sweden. Epidemiology 26:824-830

[4] Vergara X, Mezei G, Kheifets L (2015) Case-control study of occupational exposure to electric shocks and magnetic fields and mortality from amyotrophic lateral sclerosis in the US, 1991-1999. J Expo Sci Environ Epidemiol 25:65-71

[5] Roosli M, Jalilian H (2018). A meta-analysis on residential exposure to magnetic fields and the risk of amyotrophic lateral sclerosis. Rev Environ Health

[6] Jalilian H, Teshnizi SH, Roosli M, Neghab M (2017). Occupational exposure to extremely low frequency magnetic fields and risk of Alzheimer disease: A systematic review and meta-analysis. Neurotoxicology.

[7] Nijssen PC, Mulleners WM, Sas AM, van Laar T, Kromhout H, Huss A van der Mark (2014) Extremely low-frequency magnetic field exposure, electrical shocks and risk of Parkinson's disease. Int. Arch. Environ. Health 88: 227 - 234

[8] Feychting M, Jonsson F, Pedersen NL, Ahlbom AFeychting M (2003) Occupational magnetic field exposure and neurodegenerative disease. Epidemiology 14(4): 413 - 419

[9] Huss A, Spoerri A, Egger M, Röösli M (2008) Huss et al. (2008) Residence Near Power Lines and Mortality From Neurodegenerative Diseases: Longitudinal Study of the Swiss Population. Am. J. Epidemiol.169: 167 - 175

[10] Frei P, Poulsen AH, Mezei G, Pedersen C, Cronberg Salem L, Johansen C, Röösli M, Schüz J (2013) Residential distance to high-voltage power lines and risk of neurodegenerative diseases: a Danish population-based case-control study. Am J Epidemiol. 177(9): 970 - 978

[11] Mattsson MO,und Simkó M (2012) Is there a relation between extremely low frequency magnetic field exposure, inflammation and neurodegenerative diseases? A review of in vivo and in vitro experimental evidence. Toxicology 301: 1 – 12

[12] Liebl et al. (2015) Low-frequency magnetic fields do not aggravate disease in mouse models of Alzheimer’s disease and amyotrophic lateral sclerosis. Sci. Rep. 5: 8585

[13] Poulletier de Gannes F, Ruffie G, Taxile M, Ladeveze E, Hurtier A, Haro E, Duleu S, Charlet de Sauvage R, Billaudel B, Geffard M, Veyret B, Lagroye IPoulletier de Gannes et al. (2009) Amyotrophic Lateral Sclerosis (ALS) and extremely-low frequency (ELF) magnetic fields: a study in the SOD-1 transgenic mouse model. Amyotroph. Lateral Scler. 10: 370 – 373

[14] Zhang et al. (2015) Short term effects of extremely low frequency electromagnetic fields exposure on Alzheimer's disease in rats. Int J Radiat Biol. 91(1): 28 - 34

Stand: 21.08.2018

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