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BfS-Fachgespräch: Risikokommunikation beim Stromnetzausbau

Kurzbericht

Das Fachgespräch fand am 29. und 30. November 2017 im BfS am Standort München in Neuherberg statt. Es ist Bestandteil der Aktivitäten im Themenfeld 8 "Risikowahrnehmung und Risikokommunikation" des Forschungsprogramms Strahlenschutz beim Stromnetzausbau. Mehr als 60 Personen nahmen an dem Fachgespräch teil. Der Teilnehmerkreis setzte sich aus Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern, Behördenvertreterinnen und Behördenvertretern, Vertreterinnen und Vertretern von Bürgerinitiativen sowie Netzbetreibern zusammen. Ziel des Fachgesprächs war es, Erkenntnisse für die weitere Ausgestaltung der geplanten Forschungsprojekte im Bereich "Risikowahrnehmung und Risikokommunikation" zu gewinnen und den Stand des Wissens aufzuarbeiten.

Das Programm der Veranstaltung finden Sie hier. Für jeden der fünf Themenblöcke wurden die Ergebnisse aus Sicht des BfS kurz zusammengefasst

Ergebnisse des BfS-Fachgesprächs zur Risikokommunikation beim Stromnetzausbau

1. Risikowahrnehmung, Sorgen und Ängste

  • Bevölkerungsumfragen sollten nicht nur die Wahrnehmung von Risiken erfragen, sondern auch die Lebensumstände, die Arbeitswelt und die Wohnsituation als wichtige Faktoren im täglichen Leben, die die Risikowahrnehmung beeinflussen.
  • Vertrauen und Transparenz sind wichtige Aspekte für die Risikokommunikation.
  • Die geplanten neuen oder zu ertüchtigenden Hochspannungsfreileitungen und Erdkabel werden von betroffenen Anwohnern als "gesellschaftlich ungerecht verteilt" ("Wir fühlen uns als Bürger 2. Klasse") empfunden, da sie keinen direkten Nutzen daraus ziehen.
  • Informationen zu wissenschaftlichen Unsicherheiten in der Risikobewertung können dazu beitragen, Besorgnis vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Bevölkerung hervorzurufen. Auch wahrgenommene Ungerechtigkeiten bei der Planung von Infrastruktureinrichtungen (z.B. wenn in einer Gemeinde eine oberirdische Leitung für Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) gebaut wird und in der Nachbargemeinde Erdverkabelung vorgenommen wird) können dazu führen, dass eine Gemeinde verstärkt besorgt ist wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen.
  • Die Wahrnehmung von wissenschaftlichen Unsicherheiten und die Tatsache, dass z.B. die neue Technologie der Hybridleitung (Ultranet-Projekt mit einer Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung und Wechselstromübertragung auf denselben Masten) als Pilotprojekt bezeichnet wurde, führen dazu, dass Betroffene sich als "Untersuchungsobjekte" fühlen – so die Aussagen von Bürgerinnen und Bürgern, die am Fachgespräch teilnahmen.
  • Forschungsergebnisse über neue Erkenntnisse bzgl. gesundheitlicher Aspekte von Hochspannungsfreileitungen und Erdkabeln sollten vor Ort erläutert werden, um ihre praktische Relevanz für die Betroffenen zu verdeutlichen.

2. Erfahrungen mit (Risiko-)Kommunikationssituationen im Bereich des Stromnetzausbaus aus verschiedenen Blickwinkeln

  • Erfahrungen von Vertreterinnen und Vertretern von Behörden sowie der Stromnetzbetreiber zeigen, dass Frontalveranstaltungen nicht zielführend sind. Kommunikation vor Ort funktioniert am besten an Thementischen und auf Augenhöhe, d.h. die Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen sollte eher gering sein oder sich auf Informationsstände mit unterschiedlichen Schwerpunkten verteilen.
  • Einheitliche Argumente und ein einheitlicher Sprachgebrauch werden von der Mehrheit der an der Diskussion Teilnehmenden für besonders wichtig gehalten. Insbesondere werde Vertrauen geweckt durch widerspruchsfreie Informationen von verschiedenen Seiten.
  • Neutrale Behördenvertreter und persönlich bekannte Ansprechpartner seien für eine gelingende Kommunikation wichtig.
  • Es gibt in den Kommunen zu wenig Personen, die sowohl Entscheidungen und Verfahren als auch Wissen zu Strahlenschutz- und Gesundheitsaspekten kompetent vertreten können. Mehr personelle Kapazitäten auf Bundesebene – ein sogenannter bundesweiter Expertenpool – und Wissenstransfer in die lokale Ebene hinein werden als wichtig erachtet.
  • Die Ausbildung von Multiplikatoren, wie z.B. Ärztinnen und Ärzte, Vertreterinnen und Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens oder des Immissionsschutzes, hinsichtlich der Risikokommunikation zu Strahlenschutz- und Gesundheitsaspekten ist wichtig.

3. Risikokommunikation zum Strahlenschutz, das Bundesamt für Strahlenschutz als Kommunikationspartner

  • Der Strahlenschutz beim Stromnetzausbau beruht für das BfS auf zwei Aspekten: Grenzwerte, die vor den nachgewiesenen Wirkungen schützen und ergänzende Vorsorgemaßnahmen bei bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten.
  • Das Vorsorgeprinzip dient bei bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten der Minimierung von Expositionen und damit dem Schutz vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
  • Das Vorsorgeprinzip als Schutz vor möglichen, aber nicht nachgewiesenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, bei gleichzeitig vorhandenen, nach dem Stand des Wissens „sicheren“ Grenzwerten, kann jedoch missverstanden werden. Unter Umständen können Informationen zu Vorsorge die bestehende Verunsicherung noch verstärken (z.B. mündet dies in der Forderung von Vertreterinnen und Vertretern von Bürgerinitiativen nach einem Moratorium des Stromnetzausbaus bis zur Klärung der Fragen durch die ausstehenden Forschungsvorhaben).

4. Kommunikation von wissenschaftlichen Unsicherheiten, Einsatz und Wirkung von Zahlen

  • Die Darstellung von Messergebnissen vor Ort wird als hilfreich und vertrauenerweckend angesehen. Das Darstellungsformat sei jedoch nicht immer selbsterklärend und für Nicht-Experten nicht leicht verständlich oder sogar irreführend. Die von Kritikern häufig unterschiedlich verwendeten Einheiten und damit einhergehenden großen Zahlen suggerieren hohe Belastungen und große Risiken.
  • Wissenschaftliche Unsicherheiten in der Risikobewertung seien von den Unsicherheiten abzugrenzen, die durch Kommunikation entstehen. Hier sind eine einheitliche Sprache und ggf. einheitliche Erklärungen für Fachbegriffe für Bürger-Veranstaltungen unabdingbar.

5. Ein Metablick auf Kommunikationsprozesse

  • Es gibt weder "die" noch "die typische" Risikokommunikation. Der Kommunikationsprozess hängt immer von den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort ab.
Stand: 22.05.2018

© Bundesamt für Strahlenschutz