Navigation und Service

Zeitzeugeninterview mit Frau Christine Willrodt

Also es war im Amt sehr hektisch und es ist viel passiert. Jeder hat Messungen gemacht, wir haben Lebensmittel gemessen, draußen wurde die Umgebungsradioaktivität gemessen und jeder kam mit seinen Ergebnissen und wir hatten sehr viel Arbeit. Wir hatten sehr viel Telefonanrufe und ich war eigentlich rein theoretisch Schreibtischtäter und jetzt musste ich dann plötzlich messen und wurde ganz schnell eingewiesen.

Ja, nach dem Reaktorunfall ist das normale Geschäft, unsere Vorhaben oder so, mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Wir haben sehr viele Anrufe angenommen, mein damaliger Chef war ständig in Interviews und wir haben sehr viele Proben vorbereitet. Wir haben Milch gemessen, wir haben Fleisch gemessen und vor allem Grünzeug. Damals die ersten Salate, das war wichtig und die waren auch ziemlich hoch kontaminiert.

Uns hatte damals interessiert: Gibt es Maßnahmen, um das zu reduzieren? Macht es was aus, wenn ich die äußeren Salatblätter wegnehme und wie viel? Dann haben wir den Salat erstmal so gemessen: ungewaschen. Dann gewaschen. Dann die ersten Blätter weg und mit den Blättern, dass man den Unterschied... man den Leuten auch irgendwie sagen könnte: Wenn ihr es so macht, ist es vielleicht günstiger, könnt ihr es reduzieren.

Also hast du es fertig? – Ja. – Klasse.

Ganz am Anfang hat es einen großen Unterschied gemacht, ob man wäscht oder nicht oder ob man die ersten Blätter wegnimmt. Aber das Cäsium und das Jod sind ziemlich schnell eingedrungen und dann war‘s mit Abwaschen nicht mehr so leicht zu beseitigen. So 10% immer, aber am Anfang waren es noch mehr. Die Jodbelastung war sehr hoch und man hat damals empfohlen, Frischgemüse nicht zu verzehren. Als Vorsichtsmaßnahme.

Und es ist auch abgelagert auf der Weide gewesen. Also sowohl durch Einatmung, als auch durch die Verdauung eben, haben die Kühe das sehr schnell aufgenommen. Die Tiere hat man damals von der Weide rein, weil du ziemlich schnell feststellen kannst, dass das Jod zu hoch wurde in der Milch, aber die Schwierigkeit war - das war Anfang der neuen Vegetationsperiode - dass kaum noch Futter da war, um die Kühe drinnen zu halten.

Ja, also auf den Wochenmärkten, die Bauern haben sich schwergetan damals, überhaupt was zu verkaufen. Die Bevölkerung hat die Geschäfte gestürmt und Konserven gekauft, von aller Art, und was vorher gesund war, hat man so sehr bedenklich gesehen und die Geschäfte haben sich auch darauf eingestellt: Es gab dann plötzlich Milch aus Spanien beispielsweise und da wusste man, da war nichts. In den Supermärkten gab‘s dann auch Zertifikate: Unsere Milch wurde gemessen und hat keine, hat niedrige Level oder gar keine.

Die Leute waren verunsichert und direkt gefährlich hoch waren die Konzentrationen bei uns nicht, nachdem das Jod weg war. Jod hat eine Halbwertszeit von acht Tagen, d.h. nach acht Tagen ist nur noch die Hälfte da. Und wenn man denkt, ein Käse braucht zum Reifen 3 Monate, ein Hartkäse, also da ist dann kein Jod mehr drin.

Es ist so: Wir wussten ja das Risiko mehr einzuschätzen wie die Bevölkerung. Die Bevölkerung hat einfach gesehen: Da ist was drin, was vorher nicht drin war. Und das ist furchtbar.

In der Kaffeepause hat man sich unterhalten: Wer hat am meisten Cäsium, oder was hast du denn gegessen, du hast so viel – oder der andere hat schneller abgebaut. Das Cäsium geht in den Körper so ähnlich wie Kalium. Wer sportlich sehr aktiv ist, baut es auch relativ schnell wieder ab. Ein Jahr nach Tschernobyl war es in den höchst belasteten Gebieten 0,5 Millisievert und insgesamt in Deutschland waren es 0,1 und um München herum 0,3. Es war nicht gesundheitsgefährdend, man hat es also in der Milch festgestellt, aber die Werte waren weit unter dem damaligen Höchstwert.

Stand: 20.04.2016

Wie bewerten Sie diesen Artikel?

© Bundesamt für Strahlenschutz