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Zeitzeugeninterview mit Herrn Dr. Klaus Martignioni

Am 28. April 1986 wurde in der Tagesschau zum ersten Mal eine Meldung verbreitet, dass in Schweden bei einem Atomkraftwerk eine erhöhte Radioaktivität festgestellt wurde. Die Ursache dieser Radioaktivität konnte aber nicht bestimmt werden. Erst einige Tage später zeigte sich auch in Deutschland, dass in der Luft eine erhöhte Radioaktivität gemessen wurde. Im Laufe der nächsten Tage wurde auch an den verschiedensten Stellen in Deutschland eine erhöhte Radioaktivität festgestellt.

Ich wurde hier schon stutzig, als ich am 30. April nach Hause fahren wollte und ein Kollege sagte mir, seine Messinstrumente hier vor Ort, die spinnen, die schlagen aus und er wusste überhaupt nicht, warum die ausschlagen und war total betroffen, dass so hohe Radioaktivitäten hier festzustellen waren.

In den Wochen nach den Maifeierlichkeiten konnte auch in Russland nicht mehr verborgen werden, dass ein Unfall passiert ist, vor allem weil auch die russische Seite Hilfe benötigte. Aber was im Einzelnen passiert ist, ob das eine Versuchsexplosion, ob das ein Unfall war, war unbekannt.

Ich wurde dann unmittelbar damit konfrontiert, als ich auf einem Ärztekongress einen Vortrag hielt über die Gefährlichkeit von Röntgenuntersuchungen in der Medizin, weil das Ministerium herangetreten war an das damalige Institut für Strahlenhygiene, einen Experten zu schicken, der unter Umständen die Presse und Informationsstelle auch über Strahlengefahren aufklärt, weil es jetzt doch so aussah, als sei Sachverstand notwendig.

Wichtig war zum ersten einmal, dass über die Strahlengefahren aufgeklärt wird. Was könnte passieren? Und was ist passiert? Vor allem war wichtig, die Messungen, die jetzt schon an den verschiedenen Stellen auch sehr widersprüchlich publiziert wurden, im Fernsehen und auch in den Zeitungen damals, dass diese Messungen erklärt wurden.

Ich war total unsicher, was passiert. Ich habe auch drei Kinder und wusste nicht, was soll man jetzt an Maßnahmen ergreifen. Deshalb musste ich mich auch erst mal schlau machen und fand dann doch schon einige Sachen sehr bedenkenswert, die auftreten könnten. Und das war auch, was im Ministerium gefunden wurde, dass eben dieser Verunsicherung entgegen gearbeitet werden musste. Die Beunruhigung kam vor allem durch Medienberichte zustande. Weil bestimmte Gruppen von Wissenschaftlern sehr widersprüchliche Ergebnisse präsentierten, die meinten, sie hätten Fehlbildungen, Schäden, Chromosomenschäden festgestellt. Das hat sich aber unter strengen wissenschaftlichen Kriterien nicht bewahrheitet.

Die ersten Tage nach den Meldungen über Tschernobyl habe ich als eine der stressigsten Tage erlebt. Niemand hat geguckt, ist jetzt die 40 Stunden Woche erfüllt, sondern wir haben einfach so gearbeitet, wie es uns erschien, dass es am zweckmäßigsten ist. Zum Beispiel, nur um ein Beispiel zu erwähnen, ganz große Bedenken war bei der Bevölkerung mit Milchprodukten. Dass Milch, Joghurt oder Quark verseucht sind mit radioaktivem Jod. Und deshalb haben wir hier im Amt, bevor die Milchprodukte ausgeliefert wurden an die Supermärkte, kamen die Molkereien hierher und haben ihre Produkte zum Messen hier erst einmal abgeliefert und auf Unbedenklichkeit prüfen lassen, bevor sie ausgeliefert wurden. Aufgrund der unsicheren Nachrichtenlage aus Russland waren die Bedenken der Bevölkerung schon begründet.

Stand: 20.04.2016

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© Bundesamt für Strahlenschutz