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Wie gefährlich ist Radioaktivität im Niedrigdosis-Bereich?

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nimmt Stellung zu einer Studie der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) aus Lyon, Frankreich.

  • Die von der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) koordinierte Studie untersuchte über 300.000 Nukleararbeiter aus drei verschiedenen Ländern. Sie stützt die Annahme, dass auch relativ niedrige, über einen langen Zeitraum einwirkende Strahlendosen das Risiko für Leukämie erhöhen können. Dafür liefern die Untersuchungen Hinweise, aber keinen direkten Beleg.
  • Das BfS erwartet nicht, dass sich die Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission nun ändern, da diese Empfehlungen vorsorglich große Unsicherheiten bisheriger Erkenntnisse berücksichtigen. Die Studie unterstreicht, wie wichtig weitere Forschungsarbeiten in diesem Themenbereich sind.

Auch relativ niedrige, über einen langen Zeitraum einwirkende Strahlendosen können das Risiko für Leukämie erhöhen. Diese Annahme wird durch zwei Veröffentlichungen zur so genannten INWORKS-Studie gestützt. Aufgrund theoretischer Überlegungen geht der internationale Strahlenschutz davon aus, dass es keinen Schwellenwert gibt, unter dem Strahlung mit Sicherheit ungefährlich ist.

Für Strahlenbelastungen unter 100 Millisievert gab es bisher allerdings kaum Belege aus Beobachtungsstudien. Das kann daran liegen, dass eine eventuelle Erhöhung des Erkrankungsrisikos aufgrund von so kleinen Strahlendosen extrem klein ist. Nur eine außerordentlich große Studie kann eine solche Risikoerhöhung entdecken.

Bedeutung der Studie

Die INWORKS-Studie hat einen außergewöhnlich großen Umfang. Daten von mehr als 300.000 Nukleararbeitern aus Frankreich, Großbritannien und den USA gingen in die Studie ein. Diese Daten decken einen Zeitraum von bis zu 60 Jahren ab. Das Risiko, an Krebs oder Leukämie zu sterben, stieg bei den Nukleararbeitern mit zunehmender Strahlenbelastung statistisch signifikant an.

Auch in dem hinsichtlich möglicher Auswirkungen von Strahlung wissenschaftlich schwer nachweisbaren Dosisbereich unter 100 Millisievert wurde eine statistisch signifikante Erhöhung des Erkrankungsrisikos sowohl für Krebs als auch für Leukämie festgestellt. Bei Leukämie allerdings nur für einen speziellen Subtyp der Erkrankung (Chronisch myeloische Leukämie) und nur für Strahlendosen zwischen 50 und 100 Millisievert.

Für den Dosisbereich unter 50 Millisievert liefert auch diese Studie keinen direkten Beleg für ein erhöhtes Leukämierisiko. Die vielbeachtete Studie unterstreicht aber, wie wichtig weitere Forschungsarbeiten in diesem Themenbereich sind, um bestehende Unsicherheiten weiter ausräumen zu können.

Vergleich mit der Strahlenbelastung der Bevölkerung und beruflich exponierten Personen

Strahlenbelastungen für die allgemeine Bevölkerung, wie sie beispielsweise durch Ableitungen aus Kernkraftwerken oder Emissionen von Zwischenlagern für bestrahlte Brennelemente entstehen können, betragen maximal wenige Tausendstel eines Millisievert. Selbst über viele Jahre aufsummiert liegen diese Strahlenbelastungen daher weit unter 50 Millisievert.

Der mit Abstand größte Beitrag zur Strahlenbelastung der Bevölkerung durch künstliche Strahlenquellen resultiert aus der Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung in der Medizin. Im Durchschnitt liegt diese pro Jahr bei etwa 2 Millisievert.

Mitarbeiter in Kernkraftwerken und andere beruflich strahlenexponierte Personen sind höheren Expositionen ausgesetzt als die Bevölkerung, aber auch bei ihnen kommen Gesamtstrahlenbelastungen von über 50 Millisievert im Lauf eines Berufslebens eher selten vor.

Konsequenzen der Studie für den Strahlenschutz

Die Erkenntnisse über die gesundheitlichen Risiken durch ionisierende Strahlung beruhen bisher wesentlich auf den Ergebnissen der Studien zu den japanischen Atombombenüberlebenden. Die Strahlenbelastung dieser Personen resultierte aus einer einmaligen Freisetzung einer sehr großen Menge an Radioaktivität.

Relevant für den Strahlenschutz sind jedoch vor allem Situationen, in denen geringe Strahlenbelastungen über einen langen Zeitraum verteilt auftreten. Auch die Aussagen über die Auswirkung derartiger Strahlenbelastungen wurden bisher vor allem aus den Ergebnissen der Atombomben-Studien abgeleitet. Solche Berechnungen sind mit großer Unsicherheit behaftet.

Die Nukleararbeiter-Studie liefert nun direkte Hinweise für das Krebs- und Leukämie-Risiko von Personen, die einer langanhaltenden relativ niedrigen Strahlenbelastung ausgesetzt waren.

BfS erwartet keine Änderungen internationaler Strahlenschutzempfehlungen

Bemerkenswert ist, dass die abgeschätzten Risiken aus beiden Studien in etwa übereinstimmen. Die Ergebnisse der Nukleararbeiter-Studie sprechen daher gegen die häufig gemachte Annahme, dass das Risiko bei einer über einen längeren Zeitraum verteilten Strahlenbelastung im Niedrigdosisbereich geringer ist als bei einer einmaligen Strahlenbelastung gleicher Höhe.

Das BfS erwartet jedoch nicht, dass sich die Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission nun ändern, da diese Empfehlungen vorsorglich große Unsicherheiten bisheriger Erkenntnisse berücksichtigen. Allerdings sind nach Auffassung des BfS weitere Forschungsarbeiten in diesem Themenbereich notwendig.

Einschränkungen der Studie

Bei der Studie handelt es sich um eine Beobachtungsstudie, die den Zusammenhang zwischen äußerer Strahlenbelastung und dem Risiko, an Krebs oder Leukämie zu sterben, untersucht. Die Forscher versuchten zwar den Einfluss anderer Risikofaktoren wie

  • sozialer Status oder
  • zusätzliche Strahlenbelastung durch die Aufnahme von radioaktiven Substanzen in den Körper

zu berücksichtigen, doch ist dies nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Andere mögliche Risikofaktoren wie

  • medizinische Strahlenbelastung der Arbeiter,
  • natürliche Strahlenbelastung aus der Umwelt oder
  • berufliche Belastung durch Benzol

werden in der Studie nicht berücksichtigt. Es bleibt daher abzuwarten, welche Ergebnisse künftige Studien in dem Bereich bringen.

Die Erforschung der Risiken langanhaltender, niedrig dosierter Strahlung ist ein Schwerpunkt der europäischen Strahlenschutzforschung. In den nächsten Jahren sind daher weitere wichtige Erkenntnisse in diesem Bereich zu erwarten.

Literatur

Richardson, D. B., et al. (2015). "Risk of cancer from occupational exposure to ionising radiation: retrospective cohort study of workers in France, the United Kingdom, and the United States (INWORKS)." BMJ 351: h5359.

Leuraud, K., et al. (2015). "Ionising radiation and risk of death from leukaemia and lymphoma in radiation-monitored workers (INWORKS): an international cohort study." The Lancet Haematology 2(7): e276-e281.

Stand: 03.08.2015

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