Geschichte des Endlagers Morsleben

Das Endlager Morsleben ist ein über 100 Jahre altes Kali- und Steinsalzbergwerk. Im Zweiten Weltkrieg diente die Schachtanlage als KZ-Außenstelle und als unterirdische Rüstungsproduktionsstätte, später zur Hühnermast und zur Einlagerung von Giftmüll. Zwischen 1971 und 1998 wurden schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert.

Schacht Marie Schacht MarieSchacht Marie mit chemischer Fabrik 1922

Das Endlager Morsleben ist ein über 100 Jahre altes Kali- und Steinsalzbergwerk. Im Zweiten Weltkrieg diente die Schachtanlage als KZ-Außenstelle und als unterirdische Rüstungsproduktionsstätte, später zur Hühnermast und zur Einlagerung von Giftmüll. Zwischen 1971 und 1998 wurden schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert.

Eine Ausstellung zur Geschichte des Endlagers in der Info Morsleben bringt Licht in das Dunkel der Vergangenheit. Sie macht die komplexe Nutzungsgeschichte des Endlagers der Öffentlichkeit zugänglich. Die Weiterentwicklung der Ausstellung ist ein offener Prozess, an dem die Öffentlichkeit teilhaben kann und soll.

1897 - 1937: Kali- und Steinsalzbergbau in Beendorf und Morsleben

Schacht Marie

Teufmannschaft von Schacht Marie 1998 Teufmannschaft von Schacht Marie 1998Teufmannschaft von Schacht Marie 1998

Die Teufarbeiten von Schacht Marie beginnen im Mai 1897 und enden im August 1898 bei einer Tiefe von 370 m. Der Schacht wird mit den damals üblichen Mitteln errichtet. Ein hölzernes Fördergestell, Schaufeln, Hacken, Sprengmittel und Teufkübel stehen für die harte Arbeit zur Verfügung. Eine Dampfmaschine fördert das Haufwerk zu Tage.

Eine Chlorkaliumfabrik wird 1903 in Beendorf gebaut. Im Heißlöseverfahren macht sie aus Kalirohsalzen, die im Bergwerk gefördert werden, Düngemittel. Salzhaltige Abwässer werden ab 1913 bis in die Elbe abgeleitet. Der Förderbetrieb im Schacht Marie wird 1923 eingestellt. Die chemische Fabrik verarbeitet Kalirohsalze anderer Anlagen noch bis 1927. Dann kommt auch hier das endgültige Aus. Die Kaligewinnung im Oberen Allertal ist für immer beendet.

Dammbauwerk zwischen Schacht Bartensleben und Schacht Marie Dammbauwerk zwischen Schacht Bartensleben und Schacht MarieDammbauwerk zwischen Schacht Bartensleben und Schacht Marie

Schacht Bartensleben

Durch eine bergbaupolizeiliche Verordnung wird ein zweiter Schacht als Fluchtweg für Bergbaubetriebe vorgeschrieben. Daraufhin wird ab 1910 der Schacht Bartensleben in Morsleben gebaut und mit Schacht Marie verbunden. Mit Unterbrechungen wird hier bis 1969 Steinsalz gefördert. 1971 beginnt die Geschichte des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben.

Bedeutung des Bergbaus für den Betrieb und die Stilllegung des Endlagers

Im Zentralteil der Grube Bartensleben haben sich in der Vergangenheit einzelne größere Gesteinsbrocken von der Decke gelöst, sogenannte Löserfälle. Dies ist durch den hohen Durchbauungsgrad begründet und damit eine direkte Folge des Bergbaus. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat im Zentralteil zwischenzeitlich aufwendige Stabilisierungsmaßnahmen durchgeführt.

Eine weitere Folge des Bergbaus sind Zutrittsstellen, an denen Wasser aus dem Deckgebirge oder eingeschlossenes Wasser aus Zeiten der Entstehung der Salzstruktur aufgefangen werden. Sie werden regelmäßig beobachtet und überwacht.

Durch den ehemaligen Gewinnungsbetrieb hat das Bergwerk heute ein Hohlraumvolumen von 8 bis 9 Millionen Kubikmetern. Die vielen Hohlräume stellen eine Herausforderung für die sichere Stilllegung des Endlagers dar. Das Konzept zur Stilllegung des Endlagers sieht vor, die Hohlräume größtenteils mit Salzbeton zu verfüllen.

Die Geschichte des Bergwerks kurz zusammenfasst
JahrEreignis
vor 250 Millionen JahrenSalzbildung mit nachfolgender Entstehung der Salzstruktur
1861Erste Kalisalzförderung der Welt in Staßfurt, Sachsen-Anhalt
1897 - 1898Der Kaufmann Gerhard Korte lässt einen Schacht in Beendorf bauen und benennt ihn nach seiner Frau Marie
1898 - 1923Abbau von Kalisalzen in Schacht Marie
1910 - 1912Bau von Schacht Bartensleben in Morsleben: Der Schacht wird unter Tage mit der Schachtanlage Marie verbunden
1912 - 1918Abbau von Kalisalz in der Schachtanlage Bartensleben. Das Salz wird auf dem Gelände der Schachtanlage Marie verarbeitet
1918 - 1969Förderung von Steinsalz in der Schachtanlage Bartensleben. Das Speisesalz wird als "Sonnensalz aus Bartensleben" vertrieben
Stand: 03.01.2017

1934 - 1945: Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus

Das Außenlager Helmstedt-Beendorf

Mitte 1942 fordern Rüstungs- und Wirtschaftsbetriebe, KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte einzusetzen. Zu deren Unterbringung werden KZ-Außenlager eingerichtet. In Beendorf wird ein Außenlager des KZ Neuengamme gebaut: ab März 1944 ein Männerlager mit etwa 800 KZ-Häftlingen für Bauarbeiten und ab August ein Frauenlager mit bis zu 2.500 KZ-Häftlingen für die Rüstungsproduktion.

Die Häftlinge schlafen in primitiven, ungeheizten Lagerhallen der früheren Munitionsanstalt. Ab Herbst 1944 ist die Unterkunft überbelegt. Die Ernährung der Häftlinge ist unzureichend und Hunger für die Mehrzahl allgegenwärtig. Todkranke Häftlinge werden in andere Lager überstellt.

Die Zahl der KZ-Häftlinge steigt mit der Zeit auf 4.500. Vorgesehen für etwa 2.000 Menschen ist das Lager damit völlig überfüllt.

Rüstungsproduktion unter Tage

Rüstungsproduktion unter Tage Rüstungsproduktion unter TageRüstungsproduktion unter Tage

Ab 1944 setzt die SS auf Schacht Bartensleben und Marie etwa 2.500 weibliche KZ-Häftlinge in der Rüstungsproduktion ein. Sie arbeiten für die Askania-Werke auf Schacht Bartensleben und das Luftfahrtgerätewerk Hakenfelde auf Schacht Marie. Unter der Aufsicht deutscher und ausländischer Facharbeiter produzieren sie elektromechanische Teile wie Steuerungen und Ruderanlagen für die V1 und Jagdflugzeuge.

Die KZ-Häftlinge leisten unter Zeitdruck Schwerstarbeit. Die meisten Häftlinge sind durch die schlechte Versorgung und die hohe Arbeitsbelastung geschwächt und krank. In den Baukommandos fordert die erschöpfende Arbeit viele Todesopfer.

Von der Räumung des Lagers bis heute

Die Räumung des Lagers am 10. April 1945 verlängert das Leid der KZ-Häftlinge um Wochen. Bei der Räumung sind über 4.000 KZ-Häftlinge im Lager. Sie werden ohne Nahrung in Güterwaggons abtransportiert. Die Strapazen fordern über 500 Todesopfer.

Die männlichen Häftlinge werden in Wöbbelin von US-Soldaten befreit. Die weiblichen Häftlinge treffen in bereits geräumten Hamburger Außenlagern ein und können von dort vom schwedischen Roten Kreuz evakuiert und gerettet werden.

Nach Kriegsende werden trotz mehrerer Prozesse nicht alle Täter für die Verbrechen im Außenlager Helmstedt-Beendorf zur Verantwortung gezogen.

Die Schachtanlagen Marie und Bartensleben befinden sich nach Kriegsende in der Sowjetischen Besatzungszone und später im Grenzgebiet der DDR. Ein Gedenken an die Opfer ist nur eingeschränkt möglich. In der Ortsmitte von Beendorf erinnern ein Gedenkstein und auf dem Friedhof ein Massengrab an die Opfer. Überlebende haben erst nach 1989 die Möglichkeit, diesen Ort als Gedenkort zu besuchen.

Ausstellungen zur Geschichte der Schachtanlage im Nationalsozialismus

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) stellt in einer Ausstellung in der Info Morsleben die Geschichte des Endlagers vor. Einen wichtigen Teil nimmt dabei die Nutzung des Bergwerks zur Rüstungsproduktion ein

Im Ort Beendorf erinnert eine kleine Ausstellung an das KZ-Außenlager. Die Ausstellung beherbergt auch eine Dokumentensammlung zur Rüstungsproduktion in Beendorf.

Die wichtigsten Daten kurz zusammengefasst
JahrEreignis
1934 - 1937Verpachtung von Schacht Marie an die Luftwaffe
ab Juli 1937Ausbau und Nutzung von Schacht Marie als Luftwaffenmunitionsanstalt
März 1944Errichtung eines Außenlagers des KZ-Neuengamme in Beendorf und Herrichtung von Produktionsstätten unter Tage
Ende Mai 1944Aufnahme der Rüstungsproduktion unter Tage
10. April 1945Räumung des KZ-Außenlagers in Beendorf
ab 1990Ehemalige KZ-Häftlinge und ihre Angehörigen können das Gelände des KZ-Außenlagers wieder besuchen
Stand: 03.01.2017

Externe Links

1958 - 1996: Hühnermast und Zwischenlagerung von Giftmüll in der DDR

Hühnermast auf Schacht Marie

Hühnermast unter Tage Hühnermast unter TageHühnermast unter Tage

1958 beschließt die SED auf ihrem V. Parteitag eine Steigerung der Produktion von Konsumgütern. Innerhalb von sieben Jahren soll die Geflügelproduktion um 700 Prozent steigen. Auf Schacht Marie werden ehemalige Kammern der Rüstungsproduktion für die Geflügelmast hergerichtet.

Bis 1984 wird das Bergwerk für die Geflügelmast genutzt. In dieser Zeit werden rund 15.000 Tonnen Geflügel gemästet. Entstandene Abwässer verbleiben teilweise untertage. Der Schlachtbetrieb wird 1990 eingestellt.

Zwischenlagerung von Giftmüll auf Schacht Marie

1985 beschließt der Ministerrat der DDR, in Schacht Marie zeitweilig Fässer mit cyanidhaltigen Härtereisalzen zu lagern. In zwei Heizungskellern in Beendorf lagern bereits Teile des Giftmülls unter umweltgefährdenden Bedingungen.

Prüfung eines Fasses vor der Auslagerung Prüfung eines Fasses vor der AuslagerungPrüfung eines Fasses vor der Auslagerung

Erfahrungswerte zur untertägigen Lagerung gibt es nicht. Die Abfallerzeuger müssen deshalb Versuche über das Lagerverhalten durchführen. Sicherheitsbedenken wegen des Endlagers für radioaktive Abfälle werden geprüft. Die Einlagerung erfolgt nach Versuchsphasen ab 1987 in Kammern, die in der NS-Zeit als Lager gebaut wurden. Die 20.000 Fässer werden bis Ende 1996 wieder ausgelagert.

Endlager für radioaktive Abfälle in Schacht Bartensleben

Parallel zur Hühnermast und zur Zwischenlagerung von Giftmüll in Schacht Marie nutzt die ehemalige DDR Schacht Bartensleben als Endlager für radioaktive Abfälle. Endgelagert werden feste und flüssige radioaktive Abfälle. Darüber hinaus werden radioaktive Abfälle zwischengelagert. Die Öffentlichkeit der DDR ist kaum informiert.

Die wichtigsten Daten kurz zusammengefasst
JahrEreignis
1959 - 1984Hühnermast in der Schachtanlage Marie
bis 1969Abbau von Steinsalz in Schacht Bartensleben
ab 1971Endlagerung radioaktiver Abfälle in Schacht Bartensleben
1987 - 1996Zwischenlagerung giftiger Härtereisalze in der Schachtanlage Marie, 1995 - 1996 Rückholung der Abfälle
Stand: 03.01.2017

1970 - 1990: Endlager der ehemaligen DDR

Standortauswahl und Genehmigungsverfahren

1966 geht mit Rheinsberg das erstes Kernkraftwerk der DDR in Betrieb. Konzepte für die Endlagerung radioaktiver Abfälle gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht. Die ehemalige DDR sucht einen Endlagerstandort für radioaktive Abfälle. Aus Kostengründen prüft sie dabei nur bestehende Salzbergwerke.

Die Wahl fällt 1971 auf Schacht Bartensleben in Morsleben, ein mehrstufiges Genehmigungsverfahren wird eingeleitet. Da im Zwischenlager Lohmen in Sachsen der Platz knapp wird, werden bereits 1971 radioaktive Abfälle vorab eingelagert. Die Standortgenehmigung wird 1972 erteilt.

Ab 1978 beginnt ein dreijähriger Probebetrieb des Endlagers. Nach der Erlaubnis zum befristeten Dauerbetrieb 1981 folgt 1986 die Genehmigung zum unbefristeten Dauerbetrieb.

Einlagerung radioaktiver Abfälle

Fassumschlag vor Genehmigung und Bau des Endlagers, 1972 Fassumschlag vor Genehmigung und Bau des Endlagers, 1972Fassumschlag vor Genehmigung und Bau des Endlagers, 1972

Hochradioaktive Abfälle nimmt die Sowjetunion, aus der die Brennelemente stammen, zurück. Schwach- und mittelradioaktive Abfälle müssen durch die DDR selbst entsorgt werden. Die Einlagerung von radioaktiven Abfällen startet bereits 1971, bevor das Endlager genehmigt und baulich vorbereitet ist. Später wird fester und flüssiger radioaktiver Abfall eingelagert, dabei werden verschiedene Techniken erprobt und angepasst.

Feste Abfälle werden in Fässern gestapelt, unverpackt abgelegt oder von oben in Einlagerungskammern verstürzt. Flüssige Abfälle werden mit Braunkohlefilterasche verfestigt. Das Staatliche Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz verbietet das Verfahren wegen Problemen 1982 zeitweilig. Im Jahr 1990 endet die Einlagerung flüssiger Abfälle.

Die wichtigsten Daten kurz zusammengefasst
JahrEreignis
1970Vorläufige Standortauswahl
1971Vorabeinlagerung radioaktiver Abfälle
1972 - 1974Probeweise Einlagerung mit Bergbautechnik
1974 - 1978Umbau der Anlagen zum Endlager
1978 - 1981Probebetrieb des Endlagers
1981Befristete Genehmigung für 5 Jahre
1986Dauerbetriebsgenehmigung
03.10.1990Wiedervereinigung: Das Bundesamt für Strahlenschutz wird Betreiber des Endlagers
Stand: 03.01.2017

Seit 1990: Gesamtdeutsches Endlager

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands geht das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben durch den Einigungsvertrag in den Verantwortungsbereich der Bundesrepublik Deutschland über – das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) wird Betreiber des Endlagers. Die Dauerbetriebsgenehmigung der DDR gilt dabei als faktischer Planfeststellungsbeschluss befristet bis zum 30. Juni 2000 weiter.

Der Übergang der DDR-Betriebsgenehmigung ohne Durchführung eines für die Errichtung eines Endlagers vorgeschriebenen Planfeststellungsbeschluss war von Beginn an öffentlich umstritten. Am 20. Februar 1991 wird der Einlagerungsbetrieb durch eine einstweilige Anordnung des Bezirksgerichts Magdeburg eingestellt. Diese wird jedoch am 25. Juni 1992 durch das Bundesverwaltungsgericht wieder aufgehoben. Die Einlagerung von schwach- bis mittelradioaktiven Abfällen wird 1994 wieder aufgenommen.

Das Bundesamt für Strahlenschutz stellt am 13. Oktober 1992 auf Weisung des Bundesumweltministeriums (BMU) beim zuständigen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt (MLU) den Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens (Genehmigungsverfahren) für den Weiterbetrieb über das Jahr 2000 hinaus. Dieser Antrag wird 1997 vom BfS auf die Stilllegung des Endlagers Morsleben beschränkt.

Radioaktive Abfälle im Ostfeld Radioaktive Abfälle im OstfeldRadioaktive Abfälle im Ostfeld

Durch eine Atomgesetz-Novelle wird die Betriebsgenehmigung im Jahr 1998 allerdings bis zum 30. Juni 2005 verlängert. Gegen die Verlängerung reicht die Regierung des Landes Sachsen-Anhalt Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Im November 1997 erhebt der Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Klage, weil für die Einlagerung radioaktiver Abfälle im Ostfeld kein Planfeststellungsverfahren durchgeführt worden war und das Ostfeld nicht Teil der DDR-Dauerbetriebsgenehmigung von 1986 sei. Ein Eilantrag auf Unterlassung der Einlagerung hat im September 1998 vor dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg Erfolg – die weitere Einlagerung im Ostfeld wird bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache untersagt. Das BfS setzt die Annahme und Einlagerung radioaktiver Abfälle daraufhin insgesamt aus.

Nach einer grundlegenden Neubewertung verzichtet das Bundesamt für Strahlenschutz 2001 unwiderruflich auf die Annahme weiterer radioaktiver Abfälle und deren Endlagerung im Endlager Morsleben, da diese sicherheitstechnisch nicht mehr vertretbar ist.

Stand: 03.01.2017

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